Es ist ungewöhnlich, dass ein Toxikologe auf einem Kongress der Augenärzte spricht. Vor dem Hintergrund des seit April 2024 eingeführten Konsumcannabisgesetzes sprach Professor Dr. Frank Mußhoff, Geschäftsführer des Forensisch Toxikologischen Centrums München kürzlich vor diesem Gremium darüber, wie sich THC-Konsum auf das Sehvermögen im Straßenverkehr auswirkt.
„Anders als bei Alkohol gibt es keinen Grenzwert für absolute Fahruntauglichkeit“, sagte Prof. Mußhoff einführend. Dennoch kann sich Cannabiskonsum vor allem in den ersten sechs Stunden erheblich auf die Fahrsicherheit auswirken.
Im Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) ist im § 44 THC-Grenzwerte im Straßenverkehr zu lesen, dass eine vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr eingesetzte Arbeitsgruppe zum 31. März 2024 den Wert einer Konzentration von Tetrahydrocannabinol im Blut vorschlägt, von dem Forschende der Meinung sind, dass „das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr regelmäßig nicht mehr gewährleistet ist“.
Die Expertengruppe hielt einen THC-Grenzwert von 3,5 ng/ml im Blutserum für verkehrssicherheitsrelevant, „aber deutlich unterhalb der Schwelle, ab der ein allgemeines Unfallrisiko beginnt“. Der neue Grenzwert gilt seit 22. August 2024.
Vorher lag der Grenzwert für den Wirkstoff Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum bei 1 ng/ml.
„Kann man machen“, kommentierte Professor Mußhoff. Jedoch gehe von gelegentlichen Konsumenten aufgrund fehlender Gewöhnung wohl eine höhere Gefahr aus. Wer gelegentlich einen Joint rauche, liege fünf bis sechs Stunden später wieder unter dem Grenzwert von 1 ng/ml. Bei regelmäßig Konsumierenden hält die Konzentration länger an.
Cannabiskonsum beeinträchtigt unter anderem die Tiefenwahrnehmung und das räumliche Sehen. Was ist nah, was ist fern? – kann nicht mehr zuverlässig eingeschätzt werden. Linksabbieger, denen ein Fahrzeug entgegenkommt, sind unsicher, ob sie es noch schaffen oder nicht. Mit Geschwindigkeit, Abständen und Entfernungen verbundene Gefährdungen können nicht mehr richtig beurteilt werden. „So kommt es zum Beispiel zu Kurvenunfällen durch verspätetes Bremsen“, erklärte Prof. Mußhoff. Studien weisen zudem darauf hin, dass das Kontrastsehen schlechter wird und sich die Blendempfindlichkeit erhöht. Beides ist relevant bei Nachtfahrten. Wer Schwierigkeiten mit der Tiefenwahrnehmung hat, bekommt Probleme, die Spur zu halten.
Plötzliche und unerwartete Ereignisse wie am Straßenrand spielende Kinder oder einen auf die Straße rollenden Ball können unter Cannabiseinfluss stehende Autofahrer langsamer erkennen. Das liegt an verzögert einsetzenden Augenbewegungen. Wer regelmäßig konsumiert, hat unter Umständen länger anhaltende Defizite im Reaktionsbereich.
Die THC-Konzentration ist nur ein Aspekt, wenn sich Unfallverursacher vor Gericht verantworten müssen. Begutachtende Sachverständige analysieren zudem Gründe für Fahrfehler, die für Cannabis typisch sind. „Bis vor Kurzem galt Cannabis als Betäubungsmittel“, sagte der Toxikologe. Der THC-Grenzwert hat sich mehr als verdreifacht. Nicht nur die Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin sieht das kritisch. „Wir wissen, dass es durchaus beeinträchtigte Leute gibt, die unter dem jetzigen Grenzwert liegen“, so Mußhoff. Für ihn wird die Wirkung von Cannabis bagatellisiert. Aber man müsse Studien abwarten und schauen, ob es mehr Unfälle als vor der Cannabis-Teillegalisierung gab. „Weil die Teillegalisierung und die Grenzwerterhöhung gleichzeitig erfolgten, weiß man nicht, woran es lag.“
Weil Cannabis erhebliche verkehrssicherheitsrelevante Wirkungen haben kann, plädieren Experten für Prävention. Das heißt: Nach Cannabiskonsum nicht Autofahren. Wer kifft und mit Alkohol im Blut beim Autofahren erwischt wird (sogenannter Mischkonsum) hat mit erheblichen Strafen zu rechnen.
Der ADAC weist zudem darauf hin, dass in der zweijährigen Führerschein-Probezeit für Fahranfänger unter 21 Jahren ein Cannabis-Verbot gilt, ebenso wie ein absolutes Alkoholverbot.
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